Die zeitliche Entwicklung der Naturillustration lässt sich an Pflanzenbildern besonders eindrucksvoll nachvollziehen.
Kräuterbücher waren zu ihrer Zeit Schatzkammern arzneikundlicher Erfahrung und unentbehrliche Nachschlagewerke des Arztes. Der Hortus sanitatis des Johannes von Cuba gilt als das erste gedruckte Kräuterbuch. Die Darstellung manch fremdländischer Pflanze ist noch ausgesprochen phantasievoll, denn viele Exoten sind dem Zeichner nur aus Erzählungen bekannt.
Mit Beginn des 16. Jahrhunderts löst eine pflanzenkundliche Betrachtungsweise die älteren Darstellungen ab. Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs beschreiben erstmals Standort und Blütezeit einheimischer Pflanzen, und gelten damit als Väter der Pflanzenkunde. Die detailgetreue Darstellung von Samen und Früchten im Werk von Pietro Mattioli wird später Standard in der botanischen Bestimmungsliteratur.
Im 17. Jahrhundert setzt Caspar Bauhin einen Meilenstein in der Pflanzendarstellung. Er beginnt, Pflanzen nach habituellen Ähnlichkeiten zu ordnen und unterscheidet zwischen Spezies und Gattung. Damit gilt sein Werk als Vorläufer der wissenschaftlichen Systematik. Zeitgleich entsteht mit dem Hortus Eystettensis des Basilius Besler ein barockes Prachtwerk. Exoten aus fremden Ländern sind nun zugänglich und werden mit Leidenschaft gesammelt. Zentrum der Darstellung ist nicht mehr die medizinische Verwendbarkeit, sondern ein barocker Repräsentationswillen.
JOHANNES VON CUBA: Gart der Gesundheit. - Mainz 1485
Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Inc 237
Die Wiege der Kräuterbücher
Der Gart der Gesundheit wird dem Frankfurter Stadtarzt Johann Wonnecke von Kaub zugeschrieben und ist wahrscheinlich eines der ersten gedruckten Kräuterbücher. In 435 Kapiteln werden 382 Pflanzen, 25 Drogen aus dem Tierreich und 28 Mineralien beschrieben. Das Buch hatte wegen der Seltenheit entsprechender medizinischer und botanischer Schriften im Mittelalter eine große Bedeutung. Ursprünglich bezieht sich der Text auf frühe Handschriften, die von antiken Quellen abgeschrieben wurden.
Ein Viertel der Abbildungen geht auf Erhard Reuwich zurück. Ihre Qualität ist für die damalige Zeit einzigartig, da sie erstmals nach dem lebenden Vorbild von Pflanzen aus der Natur angefertigt wurden. Die übrigen Abbildungen, vorwiegend die der fremdländischen Pflanzen, entstanden offensichtlich in Eile und ohne natürliche Vorlage. So ist die mächtigste Zauberpflanze des Mittelalters stark vermenschlicht dargestellt: Die Alraune.
Alraune in der Nutzung
Mandragora officinalis
Die im Mittelmeerraum beheimatete Alraune gehört zu den Nachtschattengewächsen. Der Ausdruck Alraun leitet sich ab von alb (Alb, Mahr, Faun) und rûnen (leise sprechen, heimlich flüstern). Alle Teile der Alraune sind hochgiftig und können bei Verzehr zum Tod durch Atemlähmung führen.
Wegen ihres oft gegabelten Pfahlwurzelstocks erinnert die Alraune an die Gestalt eines Menschen und ist im Hortus sanitatis auch als Wurzelmännchen dargestellt. Der Legende nach wächst die Alraune besonders unter Galgen und wird vom Sperma und Urin der Gehängten genährt. Beim Ausziehen aus der Erde soll die Alraune einen markerschütternden Schrei ausstoßen, bei dem die Anwesenden zu Tode kommen sollen.
Pflanze der Deutschen Homöopathischen Union (DHU)
Die Alraune war als Bestandteil der berüchtigten Hexensalbe wohl die mächtigste Zauberpflanze des Altertums und Mittelalters. Sie wurde bei vielfältigen Leiden als Heilmittel empfohlen und in Gold aufgewogen. Mit unechten Alraunen (z.B. geschnitzten Zaunrüben) wurde reger Handel getrieben. Die gezeigte Alraune ist acht Jahre alt. In der heutigen Medizin wird die Pflanze nur in der Naturheilkunde verwendet.
JOHANNES VON CUBA: Hortus sanitatis. - Mainz 1517
Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Rara 4º Yn 901
Von Einhorn, Phönix und Meermenschen
Der von Jacob von Meydenbach herausgegebene Hortus sanitatis geht zum Großteil auf den 1485 erschienenen Gart der Gesundheit zurück. Der Hortus enthält allerdings 100 zusätzliche Pflanzen, erstmalig Abbildungen zu den Tierbeschreibungen und ein Kapitel über die medizinische Verwendung des Harns.
Das Buch erfreute sich großer Beliebtheit und wurde in verschiedenen Sprachen herausgegeben. Einige Abbildungen sind ausgesprochen phantasievoll und greifen zurück auf klassische Legenden. So sind sehr detaillierte Beschreibungen vom Einhorn, dem Phönix, Zentauren und Meermenschen enthalten.
LEONHART FUCHS: New Kreüterbuch. - Basel 1543
Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Rara 2º Yn 906
Der Vater der Pflanzenkunde
Der Tübinger Universitätsprofessor Leonhart Fuchs (1501-1566) zählt neben Hieronymus Bock zu den Vätern der Pflanzenkunde. In seinem New Kreuterbuch beschreibt er nicht nur die medizinische Verwendungsmöglichkeit von über 400 europäischen und 100 exotischen Pflanzen, sondern auch den Standort und die Blütezeit.
Fuchs verwendete zwar noch nicht Begriffe wie Art und Gattung für seine Pflanzen, doch war er sich bereits im Klaren über die Verwandtschaftsbeziehungen. Carl von Linné, der Schöpfer des noch heute gültigen Namensregisters, hat in vielen Fällen die von Fuchs gewählten Bezeichnungen übernommen.
HIERONYMUS BOCK: Kreuter-Buch. - Straßburg 1551
Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Rara 4º Yn 904
Der Trunkenbold unter der Weinrebe
Hieronymus Bock (1498-1554) war deutscher Botaniker und Arzt und versuchte sich als einer der ersten Wissenschaftler seiner Zeit an einer umfassenden Aufnahme und Beschreibung der mitteleuropäischen Heilpflanzen. Der große Erfolg seines Werkes beruht auf seinen sorgsamen Beobachtungen und Beschreibungen. Er erwähnt keine Pflanze, die er nicht selbst gesehen hat, und gibt neben einer genauen Beschreibung des Krautes auch dessen Vorkommen und exakten Fundort an.
Der Text ist kurzweilig verfasst, mit eigenen Erfahrungen bereichert und oftmals mit Humor und derben Bemerkungen gewürzt. So findet sich unter der Weinrebe der halbnackte Trunkenbold im Sinnesrausch.
BASILIUS BESLER: Hortus Eystettensis. - Nürnberg 1613
Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Rara gr 2º Sh 7846
Barocker Prachtgarten
Der Hortus Eystettensis zählt zu den Kostbarkeiten der botanischen Literatur. Das Werk bildet 1.084 Kulturpflanzen ab, die von Basilius Besler (1561-1629) im botanischen Garten auf dem Gelände der Willibaldsburg in Franken kultiviert wurden.
Sein Werk ist weder ein Arzneipflanzenbuch im Sinne der alten Kräuterbücher, noch war es zu botanischen Lehrzwecken gedacht. Es vereint auf eindrucksvolle Weise botanisches Interesse, gärtnerische Sammelleidenschaft und barocken Repräsentationswillen. Die Tafeln sind als Kunstwerke komponiert. Um die vornehmen, großen Pflanzen (flores et plantae istae principes) würdig präsentieren zu können - so betont Besler in seinem Vorwort - werden wild wachsende kleinere gleichsam zu Dienern und Lakaien.
CASPAR BAUHIN: Prodromos. Theatri botanici, in quo supra sexcentae ab ipso primum descriptae cum plurimis figuris proponitur. - Frankfurt am Main 1620
Museum Wiesbaden - Naturwissenschaftliche Bibliothek
Seiner Zeit voraus
Das Werk von Caspar Bauhin (1560-1624) war für seine Zeit einzigartig. Die 140 Holzschnitte im Prodomos stellen die signifikanten Merkmale jeder dargestellten Pflanzenart deutlich heraus. Damit löst er die alten Kräuterbücher ab und vertraut mehr der genauen Beobachtung als dem Glauben. In der Anordnung der Pflanzen legte er großen Wert auf die natürliche Verwandtschaft und habituelle Ähnlichkeit.
Als einer der Ersten nutzte er die Unterscheidung von Gattung und Art und legte damit den Grundstein für die wissenschaftliche Klassifizierung von Arten durch Linné.
PIETRO ANDREA MATTIOLI: Kreutterbuch. - Frankfurt am Main 1626. Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Rara 2° Yn 911 4
Der goldene Apfel
Pietro Andrea Mattioli (1501-1577) war ein italienischer Arzt und Botaniker. Sein Kreutterbuch erreichte mehr als 60 Auflagen. Es enthält eine Reihe von Arten, die in anderen Kräuterbüchern fehlen. So beschrieb Mattioli als erster die aus Amerika eingeführte Tomate als Poma aurea, den goldenen Apfel.
Bedeutend ist vor allem die Detailtreue der Darstellung von Samen und Früchten, die später Standard in der botanischen Bestimmungsliteratur wurde.
JAKOB THEODOR TABERNAEMONTANUS: Neu vollkommen Kräuterbuch, 4. Auflage. - Basel 1731. Museum Wiesbaden - Naturwissenschaftliche Bibliothek
Von der Weide zum Aspirin
Jakob Theodor (1525-1590) wurde nach seinem Heimatort Bergzabern in der Pfalz Tabernaemontanus genannt und war Schüler von Hieronymus Bock. Sein Neu vollkommen Kräuterbuch diente zahlreichen Generationen als Einführung in die Flora Mitteleuropas. In seinem Werk New Wasserschatz (1581) beschreibt Theodor als erster die Heilwirkung des Schwalbacher Heilwassers und gilt damit als Begründer der Stadt.
Die im Kräuterbuch gezeigte Weide wurde im Mittelalter als harntreibendes Mittel eingesetzt. Zudem war sie ein wichtiger Baustoff und diente wegen ihrer hohen Biegsamkeit als Material zum Flechten von Körben. Auch wurde sie im Bauhandwerk genutzt, zum Beispiel in Flechtwänden, in geflochtenen Ausfachungen von Fachwerk und als Bindemittel beim Rieddach aus Ried oder Stroh. Nach einer Faustregel gilt: Je schmaler die Blätter sind, desto besser lässt sich die Weide binden. Die getrocknete Rinde der Weide wird heute noch als Tee aufgebrüht. Sie enthält Salicin, das im Körper zu Salicylsäure metabolisiert wird. Die Salicylsäure wirkt fiebersenkend, schmerzlindernd und antirheumatisch und ist Grundstoff von Aspirin.
Silber-Weide (Salix alba), Herbar Straehler. Museum Wiesbaden
GISELA GRÄSER: Ikonographie der Orchideengattung Paphiopedilum. - Frankfurt am Main 1990. Museum Wiesbaden - Naturwissenschaftliche Bibliothek
Hommage an den Frauenschuh
Jeder, der mit lebenden Orchideen arbeitet, weiß um die Komplexität der Blüten und die Schwierigkeit der Kultivierung. Die Blüten sind in ihrer räumlichen Struktur kaum vorstellbar, vor allem wenn nur getrocknetes Herbarmaterial vorliegt. So entstand im Frankfurter Palmengarten die Idee, alle bekannten Frauenschuhe nach lebendem Vorbild zu zeichnen. Die Künstlerin Gisela Gräser verwendete eine Mischtechnik aus Bleistift und Aquarell und zeichnete in einem zehnjährigen Projekt die von Gustav Schoser und Herbert Billensteiner zusammengetragenen Arten.
Die Rose
Die Darstellung von Pflanzen hat sich im Zeitverlauf stark geändert, wie die Bildreihe zur Rose eindrucksvoll zeigen mag.
Die zeitlich frühste Abbildung aus dem Mittelalter erscheint uns heute einfach. Sie war aber ihrer Zeit weit voraus und zeugt von großer Kunstfertigkeit. Johannes von Cuba (1485) veröffentlichte mit seinem Gart der Gesundheit das erste gedruckte Buch, das lebende Naturobjekte als Vorlage zur Darstellung von Pflanzen nutzte.
Mit dem New Kreüterbuch (1543) von Leonhart Fuchs wird der Einfluss eines Botanikers deutlich. Er versuchte, an einer Pflanze die Blüte in allen Erscheinungsformen von der Knospe bis zur Frucht darzustellen. Hieronymus Bock machte mit seinem Kreuter-Buch (1551) das botanische Wissen seiner Zeit einem breiten Publikum zugänglich. Sein Werk war ausgesprochen populär und mit Humor gewürzt. So lässt er eine Spinne ihr Netz zwischen Rosenzweigen spannen. Bedeutend für das Werk von Pietro Mattioli (1623) ist die Darstellung von Samen und Früchten, die später Standard in der botanischen Bestimmungsliteratur wurde. Basilius Besler veröffentlichte schließlich 1613 ein barockes Prachtwerk mit eindeutig repräsentativen Absichten.
CUBA (1485) - FUCHS (1543) - BOCK (1551) - MATTIOLI (1626) - BESLER (1613)
Die Narzisse
Der Jüngling Narkissos war von ungewöhnlich reizvollem Erscheinungsbild. In ihn verliebte sich die Quellnymphe Echo, die von dem Jüngling jedoch nur Spott empfing. Narkissos ereilte die göttliche Strafe, indem er in unstillbare Liebe zu seinem Spiegelbild im Wasser entbrannte. Als ein Blatt auf der Wasseroberfläche sein Abbild verzerrte, starb er vor Gram und verwandelte sich in eine Blume. Diese beschreibt Ovid in seinen Metamorphosen so eindeutig, dass es sich zweifelsfrei um die heute als Narzisse bezeichnete Pflanze handeln muss.
Die Sage hat den Künstler des Mittelalters im Hortus sanitatis zweifelsfrei beflügelt, als er den selbstverliebten Narkissos als Blüte zeichnet. Auch die Blattdarstellung ist nicht präzise. Aber der Künstler wird 1485 kaum die Narzisse selbst gesehen haben. Sie kam schließlich erst in der so genannten orientalischen Periode (1560-1620) zusammen mit Tulpen und Hyazinthen nach Mitteleuropa; in einer Zeit, in der es Trend war, Parkanlagen mit exotischen Pflanzen zu füllen. Als die Kräuterbücher von Hieronymus Bock und Pietro Mattioli entstanden, waren bereits neun "Sippen" der Narzisse bekannt. Das barocke Prachtwerk Hortus Eystettensis von Basilius Besler verzeichnet für das Jahr 1613 bereits 43, und heute sind über 24.000 Kulturformen der Narzisse bekannt.
CUBA (1517) - LONICER (1551) - BOCK (1551) - MATTIOLI (1626) - BESLER (1613)
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