Modelle und Symbole stellen eine besondere Qualität der Darstellung der Welt dar. Die gewählten Beipiele zeigen Titelbilder wissenschaftlicher Grundlagenwerke. Darin sind Symbole so miteinander vereint, dass sich daraus der Inhalt des Werkes erschließen läßt. Jeder ist selbst dazu aufgerufen, diese Bilder zu lesen. Wie tief mag man sich in die Illustration versenken?
JACQUES OZANAM: Dictionaire mathematique. - Amsterdam 1691, Frontispiz. Hessische Landesbibliothek Wiesbaden 4º U 30
Nutzen
Dieses Titelbild ziert ein allgemeines mathematisches Nachschlagewerk: Wo sind die Künste und Wissenschaften, die es nicht nötig hätten, die Hilfe der mathematischen Wissenschaften in Anspruch zu nehmen? heißt es im Vorwort.
Im Mittelpunkt der Szene steht der Festungsbau, assistiert durch die personifizierte Geometrie, die ihren eigenen Kopf mit einer Befestigungsanlage und Pentagramm schmückt. Im Hintergrund sieht man feuernde Kanonen und ballistische Kurven, so dass man beim Anblick der Schiffe kaum an die friedliche Nutzung der astronomischen Navigation denkt.
Mittelalterliche Kanonankugeln. Sammlung Nassauischer Altertümer
JOHANNES KEPLER: Tabulae Rudolphinae. - Ulm 1627, Frontispiz. Hessische Landesbibliothek Wiesbaden 4º Uq 8089
Aus Rücksicht
Mit diesem Titelbild veröffentlichte Kepler Berechnungen zu Planetenbahnen, die auf Brahes langjährigen astronomischen Beobachtungen basieren.
Die Säulen repräsentieren die nach vorne hin fortgeschritteneren Weltbilder und ihre Erfinder. Kopernikus und Brahe scheinen vorne gleichauf. Mit Rücksicht auf Brahe zeigt das Deckenfresko das Weltbild nach Brahe - wenn auch mit der Frage: Was, wenn es so wäre? versehen.
Kepler selbst ist in dem linken Sockelbild zu sehen. An seine eigene, zweifellos kopernikanische, d.h. heliozentrische Überzeugung erinnern die aufgeführten Titel seiner Bücher.
ATHANASIUS KIRCHER: Ars magna lucis et umbrae. - Amsterdam 1671, Frontispiz. Hessische Landesbibliothek Wiesbaden - Signatur 04 C 4
Höheres
Das Titelbild des Buches zur Optik zeigt neben Experimenten mit dem Sonnenlicht auch die Erkenntnishierarchie des Jesuiten Kircher.
Unten in der materiellen Ebene sind die Philosophie/Mathematik (links) und die Wahrnehmung (rechts) dargestellt. Dieser Ebene ist die spirituelle Ebene übergeordnet, in der die Heilige Schrift (links) und die Vernunft (rechts) zu sehen sind. Die Vernunft ist eine vom Geist Gottes erleuchtete Vernunft, ihr und den Bibeltexten haben sich die Beobachtungen und mathematischen Beschreibungen unterzuordnen.
Das Portrait Kaiser Ferdinands II. sowie der österreichische Doppeladler und der habsburgische Pfau unterstreichen die Widmung.
JOHANN BAPTIST HOMANN [JOHANN GABRIEL DOPPELMAYER]: Systema solare et planetarium. - Nürnberg 1707/1742. Hessische Landesbibliothek Wiesbaden gr 2º Weilb 5
Die Welt nach dem 17. Jhd.
Diese Übersicht zeigt das Weltsystem nach Kopernikus mit der ruhenden Sonne und den kreisenden Planeten mit ihren Monden.
Rechts unten sind die drei Weltsysteme im Vergleich: Das Ptolemäische Weltsystem, in dem alle Planeten mit dem Mond um die Erde kreisen, liegt zerbrochen am Boden. Das Tychonische Weltsystem, bei dem zwar die Erde ruht und sich die Sonne dreht, aber die Planeten um die Sonne kreisen, wird von einem Engel gehalten. Urania hat sich für das kopernikanische System entschieden, das hier als schematische Wiederholung der großen Darstellung gezeigt wird.
Links unten ist die Sonnenfinsternis vom 12.5.1706 dargestellt. Man sieht den relativ kleinen Kernschatten auf Mitteleuropa fallen. Der sehr viel größere Randschatten, in dem die Sonne nicht vollständig verdunkelt wird, reicht von Afrika fast bis zum Nordpol. Es war die letzte in großen Teilen Deutschlands gut sichtbare totale Sonnenfinsternis vor dem 11.8.1999.
GERHARD MERCATOR: Atlas. - Amsterdam 1633-1638, Frontispiz. Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Rara gr 2º Ra 8
Geistige Lasten
Mit dem Titanen Atlas als zentraler Figur veröffentlichte Mercator schon 1595 die erste Ausgabe seines Atlas und prägte den heute vertrauten Begriff für Kartensammlungen.
Anstelle des schwer an der Erde tragenden Atlas sieht man ihn hier mit leichter Hand die Erde vermessen. Die Begegnung zwischen Herkules und Atlas, in der die Last der Erdkugel zwischen beiden hin- und hergereicht wurde, ist in dieser Interpretation ein intellektueller Akt und kein Kraftakt: Schon in der Antike gibt es diese Deutung, nach der Herkules das Wissen über die Himmelskunde von Atlas empfangen hat.
Der Name Mercator ist mit einem Verfahren verbunden, die Kugeloberfläche der Erde auf einer ebenen Karte darzustellen: Seit ihrer Erfindung 1569 wird die winkeltreue Mercator-Abbildung für die Herstellung von Seekarten verwendet.
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